Die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität. Welche Strategien verfolgen die ostdeutschen Länder beim Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft, wer sind die wichtigsten Akteure und was konnte bereits realisiert werden? Diesen Fragen geht Wirtschaft +Markt in einer neuen Serie nach. Von Matthias Salm.
Folge 1: W+M-Serie: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Berlin
Folge 2: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Sachsen-Anhalt
Folge 3: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Brandenburg
Folge 4: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern
Folge 5: Die Wasserstoff-Wirtschaft in Thüringen
Bis zum Jahr 2029 sollen wichtige Thüringer Industriestandorte an das deutsche Wasserstoffnetz angeschlossen werden. Voraussetzung dafür ist der Umbau bestehender Gasnetze im Freistaat. Thüringen nimmt im deutschen Wasserstoffkernnetz eine bedeutende Rolle ein.
Rund 500 Kilometer Leitungen müssen die Netzbetreiber entweder für den Wasserstofftransport umrüsten oder ganz neu verlegen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, kooperieren die Netzbetreiber GASCADE, die Ferngas Netzgesellschaft und die TEN Thüringer Energienetze GmbH & Co. KG. Die GASCADE Gastransport GmbH betreibt ein deutschlandweites Gasfernleitungsnetz, das Gashochdrucknetz der Ferngas GmbH erstreckt sich über mehr als 3.000 Kilometer in Thüringen und Nordbayern und TEN ist der größte Verteilnetzbetreiber Thüringens. Bis zum Jahr 2029 stehen zwölf Vorhaben der Projektpartner zur Umstellung auf Wasserstoff auf dem Plan. Laut der drei Netzbetreiber arbeiten gegenwärtig 50 große Erdgasverbraucher in Thüringen, von denen rund die Hälfte beim Verzicht auf Erdgas auf Wasserstoff angewiesen wäre.
Im Beisein von Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (4.v.l.) unterzeichneten die drei Netzbetreiber eine Grundsatzvereinbarung zur Kooperation bei der H2-Gasnetzumstellung. Foto: TEAG Thüringer Energie AG
Eine besondere Rolle nimmt in den Planungen die Erdgasleitung entlang der Autobahn A4 ein, ein wichtiges Verbindungsstück im geplanten deutschen Wasserstoffkernnetz. Von dieser Haupttrasse soll das thüringische Wasserstoffnetz nach Nordthüringen und Südostthüringen verzweigen, um wichtige Industriestandorte anzubinden. Dazu zählen beispielsweise das Gewerbegebiet Erfurter Kreuz als größtes Thüringer Industriegebiet, das CWK Chemiewerk Bad Köstritz, ein Hersteller anorganischer Spezialchemikalien, oder das Stahlwerk Thüringen in Unterwellenborn. Die thüringische Stahl- sowie die Glas- und Keramikindustrie, aber auch die Chemie- und Papierindustrie setzen gleichermaßen auf Wasserstoff als Energieträger der Zukunft.
So ist beispielsweise eine grenzübergreifende Modellregion zur Dekarbonisierung der Glasindustrie am Rennsteig geplant. Die Behälterglas- und Glasbearbeitungsindustrie beschäftigt rund 8.000 Menschen in der thüringisch-fränkischen Rennsteigregion und gehört zu den energieintensivsten Branchen der Wirtschaft. In Thüringen steht die Branche mit einem Anteil von rund 25 Prozent am Energieverbrauch der Industrie an der Spitze aller energieintensiven Wirtschaftszweige.
Auch in der Papierproduktion ist das Thema Wasserstoff aktuell. Die Papierfabrik Adolf Jass Schwarza GmbH etwa kooperiert mit der TWS Thüringer Wärme Service GmbH als Betreiber des Heizkraftwerks Rudolstadt-Schwarza und mit der Ferngas Netzgesellschaft mbH. Das Kraftwerk in Rudolstadt-Schwarza soll dazu in mehreren Schritten auf 100 Prozent Wasserstoff umgestellt werden. Die im Kraftwerk produzierte Wärme wird dann, so das Ziel, in der Produktion der Papierfabrik eingesetzt werden.
Das Stahlwerk Thüringen in Unterwellenborn nahe Saalfeld nutzt für seinen „Green Steel“ schon heute 100 Prozent regenerativen Strom. Künftig soll auch grüner Wasserstoff statt Erdgas für eine weitgehend dekarbonisierte Stahlproduktion verwendet werden. Die Hörmann KG, Europas führender Anbieter für Tore, Türen, Zargen und Antriebe, wiederum hat die Energieversorgung seines größten deutschen Produktionsstandorts in Ichtershausen im Ilmkreis bereits teilweise von Erdgas auf selbsterzeugten grünen Wasserstoff umgestellt.
Auch in der Produktion sind Thüringer Unternehmen bereits in das Thema Wasserstoff eingestiegen. Die Maximator GmbH in Nordhausen ist Technologieführer im Bereich der Hochdrucktechnik und entwickelt auch Wasserstoff-Verdichtersysteme. Mit ihren Schwesterunternehmen Maximator Hydrogen, Maximator Gas Solutions und Maximator Veteq bietet sie zudem Lösungen für die Wasserstoffbetankung, -speicherung und die Prüfung von Wasserstoffbehältern. Das Unternehmen hat u.a. die Wasserstofftankstelle des Weimarer Stadtbusverkehrs auf dem Betriebsgelände der Weimarer Stadtwirtschaft errichtet.
Symbolbild Wasserstoff-Leitung. Quelle: Jost Listemann/Zukunft Gas
Die Kyros Hydrogen Solutions GmbH in Föritztal im Landkreis Sonneberg, hervorgegangen aus dem Sondermaschinenbauer KUMATEC, entwickelt Komplettsysteme zur Herstellung von Wasserstoff, fertigt aber auch Wasserstoff-Tankstellen und Speicherlösungen. Der Sondermaschinenbauer Ruhlamat GmbH in Gerstungen produziert Montage- und Produktionsanlagen für Brennstoffzellen, elektrische Antriebe und Elektrolyseure.
Sonneberg als Modellregion
Insbesondere die Region Sonneberg verspricht sich in Thüringen von der Wasserstoff-Wirtschaft einen Schub. Sie sieht sich als künftiger Magnet für Unternehmen aus dem Bereich Wasserstofftechnik. Knapp neun Millionen Euro, rund 75 Prozent der Investitionskosten, hat der Freistaat Thüringen bereitgestellt, um in Sonneberg das Gewerbe- und Industriegebiet „H2Region Thüringen/Franken“ zu errichten.
In Sonneberg ist auch das HySON-Institut für Angewandte Wasserstoffforschung ansässig. Das 2021 eröffnete Institut gehört zu den staatlich geförderten wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen in Thüringen. Im HySON-Institut wird an Wasserstofflösungen für den industriellen Alltag geforscht. Dazu gehören beispielsweise die Nutzung von Elektrolysenebenprodukten wie Sauerstoff in der Medizin oder auch die Entwicklung von Beschichtungsverfahren für Erdgasleitungen.
Auch in anderen Regionen Thüringens schließen sich Bündnisse zur Entwicklung der Wasserstoff-Wirtschaft zusammen. „Wasserstoffregion Wartburg – Hainich” heißt ein vom Bund ausgezeichnetes Energie-Projekt des Unstrut-Hainich- und des Wartburgkreises. Gemeinsam wollen die Regionen Wasserstoffkompetenzen mit Schwerpunkt Mobilität aufbauen. 2022 wurde der Wartburgkreis beim Bundesförderwettbewerb HyLand des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr zur HyExpert-Region ausgewählt.
Wasserstoff-Forschung in Thüringen
Das Fraunhofer IKTS mit Sitz in Dresden und Hermsdorf ist die größte zum Thema Wasserstoff forschende Einrichtung in Ostdeutschland. Sie entwickelt und baut elektrochemische Reaktoren zur Herstellung und Nutzung von Wasserstoff. Im Bereich der Hochtemperatur-Elektrolyse (SOEC) wurden hier verschiedene Stack-Designs entwickelt. Das Fraunhofer IKTS betreibt zudem am Standort Arnstadt in Thüringen das Wasserstoffanwendungszentrum WaTTh.
Die am Fraunhofer IKTS entwickelte Hochtemperatur-Elektrolyse-Stacktechnologie soll zusammen mit thyssenkrupp nucera in die industrielle Fertigung und Anwendung überführt werden. Quelle: Fraunhofer IKTS
Jüngst schloss das Fraunhofer IKTS eine strategische Partnerschaft mit dem Unternehmen thyssenkrupp nucera ab. thyssenkrupp nucera, ein weltweit führender Anbieter von Elektrolyse-Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff, will die hochinnovative Hochtemperatur-Elektrolyse des Fraunhofer IKTS nutzen und die Technologie hin zur industriellen Fertigung und Anwendung weiterentwickeln. Durch die hohe Energieeffizienz der SOEC-Technologie soll der Stromverbrauch bei der Elektrolyse deutlich sinken.
Auch die thüringischen Universitäten widmen sich mittlerweile in mehreren Projekten der Wasserstoffforschung. So werden an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und an der TU Ilmenau Möglichkeiten zur Erzeugung von Wasserstoff durch Lichtenergie entwickelt.
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