45 Prozent der Gründer:innen sehen die Bürokratie als Hürde für die Selbständigkeit (KfW Research). Jedes Bundesland, das digitaler, serviceorientierter und damit wirtschaftsfreundlicher agiert, wird automatisch mehr Unternehmer:innen anziehen. Wer dazu noch in Infrastruktur und den öffentlichen Nahverkehr investiert, profitiert von Steuereinnahmen und schafft eine Win-Win-Situation. Was sonst noch hilft? Unternehmerin, Aufsichtsrätin und Investorin Larissa Zeichhardt hat fünf pragmatische Lösungsansätze für mehr Unternehmertum in den neuen Bundesländern formuliert.
1. Mehr Anleitung zum Unternehmertum in Schulen
Wir sollten die dominante Rolle des Staates, die als Problemlöser propagiert wird, durch die Freude am Machen und einer Anleitung zum Unternehmertum ersetzen.
Mit fünf Jahren habe ich meinen ersten Berufswunsch geäußert: Toilettenfrau, „weil die immer so viel Geld haben“. Mit zunehmendem Alter wurde ich unkreativer. Kurz vor dem Schulabschluss standen dann ausschließlich Berufsbilder auf meiner Liste, die ich aus dem Alltag kannte. Tierärztin, am liebsten in Frankfurt an der Oder. Immerhin, die Richtung stimmte. Heute wünsche ich mir mehr Unternehmertum in Schulbüchern, denn Spaß am Gründen kann ganz einfach vermittelt werden.
Auch Berufsschulen sind aus meiner Sicht eine Kaderschmiede der Macher. Auf dem Campus Hütte (Eisenhüttenstadt, Brandenburg) bietet ein Verein Co-Working für Handwerker. Nutzer sind Schüler:innen des Oberstufenzentrums Oder-Spree. Geteilt werden 3-D-Drucker (Prototypenfertigung) und ein Podcast Studio, genau wie Werkzeug und Wissen. Zu den Standortvorteile zählen die Nähe zu Polen und die gute Bahnanbindung. Ich bin überzeugt, dass sich auf dem CO2-neutralen Campus in Zukunft noch mehr Ansiedlungen niederlassen.
2. Mehr Programme und Vorbilder für die Zielgruppe Frauen und 45+
Das Ostdeutsche Wirtschaftsforum verleiht den Preis Vorsprung. Aktiv ist auch der Verband deutsche Unternehmerinnen, mit dem she succeeds Award. Diese Auszeichnungen machen auf Vorbilder aufmerksam. Das motiviert.
Mein erster Ausflug in die Unternehmerwelt war Zufall: Der Bruder eines Freundes überredete mich, es folgte eine steile Lernkurve und ein paar Jahre später ein Streit, der meine Unternehmerkarriere vorerst beendete. Rückblickend hätte ein Business Coach helfen können – und mehr Liquidität. Bis heute fühle ich mich durch Förderprogramme nicht angesprochen. Wir brauchen mehr Programme und Vorbilder für Frauen. Auch eine direkte Ansprache der Zielgruppe 45 Plus vermisse ich. Dazu helfen Auszeichnungen, die auf Vorbilder aufmerksam machen helfen.
Ich spreche aus Erfahrung, denn vor einigen Jahren setzte ich meine Karriere als Unternehmerin etwas ungewollt fort. Mein Vater verstarb plötzlich, ich wurde über Nacht zur Nachfolgerin. Es ging um Arbeitsplätze und an meiner Entscheidung hingen Familien. Gemeinsam mit meiner Schwester wollte ich es versuchen. Gegenstimmen gab es viele, zwei Frauen in der Elektromontage (wir arbeiten rund ums Gleis), das konnte Man(n) sich nicht vorstellen. Vorbilder? Fehlanzeige.
3. Mehr Orte für den Austausch
Eine Zusammenarbeit zwischen den Industrie- und Familienunternehmen und der Wissenschaft wirkt langfristig. Neue Technologien werden häufig erst durch Start-ups in den Markt gebracht, die Erfahrung etablierte Unternehmen erhöht die Erfolgschancen, andersherum profitiert der Mittelstand von der Innovationskraft. Wie ein gutes Netzwerk entsteht, zeigt Nico Gramez mit dem Think Tank Project Bay und das Studenten-Veranstaltungsformat N5 Symposium.
Wir setzen auf Innovationskraft und den Austausch mit Universitäten und Start-Ups. Kurzfristig erhöhten die Projekte unsere Strahlkraft und machten uns Mut. Wir haben uns den Schuh passend gemacht, unsere eigene Richtung gefunden. Geholfen haben uns Orte, an denen Industrie- und Familienunternehmen mit der Wissenschaft zusammenarbeiten. Gemeinsam erkunden wir, wie Baustellenabläufe stärker automatisiert werden können. Dank der Berliner Hochschule für Technik sind wir auf den Roboter gekommen. Mit dem Tech-Startup Axo Track testen wir Sensorik für die prädiktive Wartung von Weichen. Auf dem Radar der großen Beteiligungsfonds ist das Unternehmen angekommen, seit es sich für Ostdeutschland als Standort entschieden hat.
4. Wirtschaftswachstum durch Fonds zusätzlich stärken
Aus meiner Sicht sind landeseigene Venture-Capital-Fonds ein absoluter Vorteil der neuen Bundesländer. Sie prägen die ökonomische Entwicklung der Region und fördern forschungsintensiven Industrien wie etwa Softwareentwicklung oder hochspezialisierten Ingenieurssparten.
Die Blaupause liefert Sachsen-Anhalt, das mit den IBG-Fonds eine beeindruckende Infrastruktur für Venture Capital Investments geschaffen hat. Mit einem Portfolio von rund 45 Unternehmen und einem aktuellen Kapital von 63 Millionen Euro im neuen und aktiven „IBG RKF IV“ sind die Voraussetzungen geschaffen, um sowohl bestehende Unternehmen zu unterstützen als auch in neue vielversprechende Start-ups zu investieren. Tesvolt aus Wittenberg beispielsweise profitiert davon und ist mittlerweile führender Anbieter von Batteriemanagementsystemen im Gewerbebereich. Die Firma zählt zu den größten Arbeitgebern in der Region.
5. Ein Schulterschluss zwischen Sport und Wirtschaft
Es sind die Werte, die unsere Gesellschaft prägen. Wir sollten bestehende Werte sichtbar zu machen und damit Mut fördern. Ein passender emotionaler Hebel ist der Sport.
In den ländlich ostdeutschen Regionen ist die Neigung, einen Betrieb zu gründen deutlich geringer. Kaufinteressierte Nachfolger sind daher ebenso rar. Die Konsequenzen sind absehbar: 2023 waren in Sachsen 39 Prozent und in Thüringen 34 Prozent der Unternehmen auf der Suche nach einem Nachfolger (Unternehmerkunden-Studie der Commerzbank).
Wir sollten bestehende Werte sichtbar zu machen und damit Mut fördern. Ein passender emotionaler Hebel ist der Sport. Wird ein Radrennen auf dem Olympiastützpunkt in Frankfurt/Oder zum Wirtschaftstreff, sind engagierte, pünktliche und teamfähige Fach- und Führungskräfte ein Ergebnis. Beim Boxen nebenan, floriert ein Netzwerk aus Investoren. In den ersten Reihen von „Stralsund boxt“ diskutieren Wirtschaft und Politik über anstehende Investitionen. Ausgerechnet ein Hamburger Unternehmer ist für die Veranstaltung verantwortlich: Auf die Frage, was den Geschäftsführer nach MV treibt, sagt er etwas essenzielles: „Hier wird Zusammenhalt großgeschrieben.“ Sein Geschäftspartner verrät, dass ein engagierter Trainer der örtlichen Jugendmannschaft Ihnen das Versprechen abgenommen hat, hier Landesmeisterschaften und Profiboxen zu verbinden. Der Erfolg ist sichtbar Ausverkauftes Haus.
Die Autorin: Larissa Zeichnardt
Larissa Zeichhardt, 42 Jahre, ist Eigentümerin vom Campus Hütte (Eisenhüttenstadt). Gemeinsam mit ihrer Schwester Arabelle Laternser leitet sie das Familienunternehmen LAT in zweiter Generation, sie ist außerdem Gesellschafterin von Köhler Beton (Luckenwalde, Brandenburg). Die Aufsichtsrätin (Berliner Volksbank) und Investorin setzt auf Innovation, sie investiert in KI-Lösungen, zum Beispiel für Gesundheitswirtschaft und Infrastruktur.
Sie ist Mitbegründerin der Initiative Unternehmensnachfolge Ostdeutschland – NFOst.de
Der Beitrag Was ich werden will? Nachfolgerin natürlich. erschien zuerst auf Wirtschaft und Markt.