In Zeiten des Wandels wird Bewährtes auf den Prüfstand gestellt, weil das bisher erfolgreiche Konzept oder Geschäftsmodell nicht mehr für die Zukunft taugt. Darüber reden wir seit Jahren, ohne uns ernsthaft zu bemühen. Erst in den letzten zwei Jahren begriffen viele, dass es ernst ist und ein Durchmogeln und eine Rückkehr zu alten Zeiten nicht mehr möglich ist. Gebraucht wird der radikale Wandel. Dazu hat Dr. Jens-Uwe Meyer ein Buch geschrieben. Wir veröffentlichen daraus in einer sechsteiligen Serie „Die größten Fehler beim Management des radikalen Wandels“.
Fehler 3: Innovation kann warten – Wir haben gerade andere Themen
Es ist ein kalter sonniger Januarmorgen. Das Innovationsteam der Erfolgs- und Verwöhnt AG trifft sich zum Auftaktworkshop eines neuen Projekts. Die Produktion soll umgestellt werden:
Nachhaltiger durch die Senkung des CO2-Ausstoßes,
mehr Automatisierung, weil der Markt für Fachkräfte leergefegt ist,
höherer Digitalisierungs- und Vernetzungsgrad.
Die Ziele sind klar definiert, die handelnden Personen bestimmt, der Zeitplan ist ambitioniert, aber machbar. In sechs Monaten soll das Konzept der neuen Produktionsanlage stehen. Die Hauptversammlung hat beschlossen, die notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen.
Es ist Anfang Februar. Die Erfolgs- und Verwöhnt AG erhält einen Großauftrag. Diejenigen, die an der Erarbeitung eines innovativen Konzepts beteiligt waren, werden woanders gebraucht. Dringend. Zudem hat eine Grippewelle das Unternehmen erfasst, 20 Prozent der Belegschaft in der Produktion sind krank. Das Projekt wird unterbrochen. Sechs Wochen später ist der Auftrag abgearbeitet. Das Unternehmen meldet ein erfolgreiches erstes Quartal.
Die Terminsuche beginnt, um einen Termin zu finden, an dem sich das Projektteam erneut treffen kann. Das Problem: Ostern. Die Hälfte des Projektteams ist im April zunächst für eine Woche auf einer Fachmesse, anschließend für vierzehn Tage im Urlaub. Das nächste Treffen findet Anfang Mai statt.
Inzwischen gab es eine Vorstandssitzung, auf der das Projekt noch einmal grundsätzlich in Frage gestellt wurde. „Wir haben gesehen, dass unsere Schwachstelle der Vertrieb ist“, sagt einer der Vorstände. „Der Großauftrag vom Februar war das Ergebnis einer guten Vertriebsarbeit. Hier sollten wir zunächst ansetzen.“
Als sich im Mai das Innovationsteam erneut trifft, ist das Projekt „depriorisiert“. Dieser Begriff klingt so als wäre nur eine kleine Veränderung vorgenommen wurden. In Wahrheit ist das Projekt auf dem Abstellgleis. Das Team wird von fünf auf zwei Personen reduziert. Statt eines konkreten Konzepts werden im Herbst erste Rechercheergebnisse über Umsetzungsmethoden erwartet. Gleichzeitig wird der Fokus auf den Vertrieb gelegt.
Dieses Beispiel zeigt, welchen schwierigen Spagat Unternehmen gehen müssen, die ihre besten Beschäftigten (und meistens sind es die besten) dafür abstellen, das operative Geschäft zu verlassen und sich voll und ganz auf Innovation zu konzentrieren. Tatsächlich bedeutet Innovation zunächst einmal Verzicht. Egal ob Sie eine Strategie für nachhaltige Geschäftsmodelle erarbeiten, Digitalisierungskonzepte erarbeiten oder bestehende Prozesse im Hinblick auf Automatisierungspotenzial analysieren – Sie verzichten auf die Menschen, die Sie für ihr operatives Geschäft am dringendsten brauchen.
Und hier ist die Falle: Es wird verschoben. Und verschoben. Und verschoben. Kleine Erfolge werden als große Innovationen gefeiert. Am Ende ist es jedoch nur Baldrian. Damit verliert das Unternehmen Stück für Stück an Wettbewerbsfähigkeit.
Wird fortgesetzt. Bisher erschienen:
Fehler 1: Der Fokus auf Bewahren und Verbessern
Fehler 2: Ein falscher Blick auf neue Technologien
Der Autor: Dr. Jens-Uwe Meyer
Jens-Uwe Meyer. Foto: Innolytics
Dr. Jens-Uwe Meyer gilt als einer der renommiertesten Vordenker für die Wirtschaft im radikalen Wandel. Er promovierte über die Innovationsfähigkeit von Unternehmen. Die von ihm geleitete Innolytics AG entwickelt ein digitales Betriebssystem für zukunftsorientiertes Management und revolutioniert die Art, wie Unternehmen auf neue Herausforderungen reagieren.
Er ist Autor von mittlerweile 13 Büchern zu den Themen Innovation und Digitalisierung.
Das Buch:
Dr. Jens-Uwe Meyer: RESET – Wie sich Unternehmen und Organisationen neu erfinden. BusinessVillage, 262 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-89980-8
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