W+M sprach im exklusiven Interview mit dem Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dr. Dietmar Woidke, über die wirtschaftliche Situation im Land, die Transformation in der Lausitz, über Tesla und natürlich auch über die bevorstehende Landtagswahl.
W+M: Wie geht es der Wirtschaft Brandenburgs?
Woidke: Wir sind gemeinsam mit Berlin die Hauptstadtregion und deutschlandweit Schrittmacher. Vor zehn Jahren wären wir für solche Aussagen noch belächelt worden. Heute haben wir alles, was es braucht, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Wir haben die dichteste Wissenschaftslandschaft in Deutschland, wir haben Menschen, die bewiesen haben, dass sie mit Herausforderungen umgehen können, und wir haben die erneuerbaren Energien mit einem hohen Ausbaustand. Das verschafft uns Selbstbewusstsein – und das ist selbst ein Standortfaktor geworden.
W+M: Welche Unternehmen und Branchen ragen besonders heraus?
Woidke: Entscheidend ist, dass wir einen guten Mix aus mittelständischem Handwerk und großer Industrie haben. Das schafft Stabilität. Bei der E-Mobilität ist es gelungen, eine Wertschöpfungskette aufzubauen, zum Beispiel mit Tesla, Microvast und BASF. Im März fiel bei Rolls Royce die Entscheidung, in Dahlewitz rund 30 Millionen Euro zu investieren und etwa 100 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Rolls Royce gilt für uns als industrieller Pionier, weil sie sich schon frühzeitig hier ansiedelten und seitdem ihr Engagement kontinuierlich ausweiteten. Parallel dazu gibt es Entwicklungen im Luft- und Raumfahrtbereich, von denen man nicht so viel hört, die aber dennoch beachtlich sind, wie zum Beispiel bei MTU Maintenance in Ludwigsfelde. Mittlerweile sind in dem Bereich viele Tausend Menschen beschäftigt . Nach Hamburg und München sind wir das drittgrößte Cluster für Luft- und Raumfahrt in Deutschland. Das sind Entwicklungen im Hochtechnologiebereich, die mich sehr freuen.
Eine weitere wichtige Entwicklung erleben wir aktuell in Schwedt. Das PCK Schwedt war durch die Beendigung der russischen Öllieferungen aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im besonderen Fokus. Entgegen vieler Unkenrufe ist es uns gelungen, die PCK zu stabilisieren und neu aufzustellen. Heute produziert das PCK mit seinen gut 2.000 Beschäftigten wieder mit einer guten Auslastung. Die Arbeitsplätze und die Versorgung in der Region sind gesichert. Das ist ein großer Erfolg, an dem die Beschäftigten einen großen Anteil hatten. Hier gilt auch der Bundesregierung, dem PCK und der Stadt Schwedt mein Dank, weil wir gemeinsam bei der Sicherung des Standorts für gute Rahmenbedingungen und damit auch Sicherheit für die industrielle Zukunft schaffen konnten.
Wir denken in Schwedt schon die nächsten Schritte. Bis Ende des Jahrzehnts ist geplant, durch die industrielle Produktion von Wasserstoff aus erneuerbarer Energie in der Uckermark in die Produktion von klimaneutralem Kerosin (SAF – sustainable aviation fuel) einzusteigen. Das ist ein wichtiger Schritt für klimaneutraleren Luftverkehr. Die Elektrolyseure kommen aus Berlin von Siemens Energy, also auch aus der Region.
Wichtiger Partner von PCK ist die ENERTRAG, ein Energieunternehmen aus der Uckermark, das bei uns klein angefangen hat und jetzt weltweit in Sachen erneuerbarer Energie unterwegs ist.
W+M: Gut 11 Milliarden Euro an Bundes- und Landesmitteln fließen in die Energieregion Lausitz, um den Kohleausstieg bis 2038 zu besiegeln und gleichzeitig der Region eine neue Zukunft zu geben. Wie läuft es?
Dr. Dietmar Woidke, Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Foto: W+M
Woidke: Wir haben uns von Anfang an dafür stark gemacht, dass man die Kohleregionen mit dem Kohleausstieg nicht allein lassen darf. Wir, das meint die enge Zusammenarbeit zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten von NRW Armin Laschet, Rainer Haseloff aus Sachsen-Anhalt und Michael Kretschmer bzw. seinem Vorgänger Stanislaw Tillich aus Sachsen und mir. Wir waren uns einig, dass wir dafür kämpfen müssen, um den Kohleregionen eine echte neue Chance zu geben und der Bund dafür eine besondere Verantwortung tragen muss. Die Entscheidungen waren keine Selbstläufer, sie mussten hart erkämpft werden. Die Mittel von Bund und Land sind gut angelegt.
Die für die Lausitz heute großen Projekte wie das ICE-Bahnwerk, der Lausitz-Science-Park und der Aufbau der Universitätsmedizin in Cottbus sind nicht das Ergebnis von großen Strategieberatungen oder Denkfabriken. Es war einfach preußischer Pragmatismus.
So war es bei der Deutschen Bahn: Der damalige DB-Vorstand und Chef der damaligen Kohlekommission Ronald Pofalla machte mir den Vorschlag, dass das Ausbesserungswerk in Cottbus nicht geschlossen wird, sondern daraus ein hochmodernes ICE-Ausbesserungswerk zu machen. Gemeinsam haben wir zwei uns sofort drangesetzt und das Ergebnis kann heute jeder sehen: in Cottbus steht Europas modernstes Bahnwerk.
Die Idee zur Universitätsmedizin entstand bei einer Diskussion über die medizinische Versorgung der Lausitz, zu der ich meinen sächsischen Amtskollegen Michael Kretschmer 2019 nach Cottbus eingeladen hatte. Der anfänglich belächelte Vorschlag bietet verlockende Vorteile. Wir können Medizinernachwuchs ausbilden und etwas gegen den Ärztemangel in der Region tun, die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft schafft ein attraktives Unternehmensumfeld und der Imagefaktor für die Region ist immens. Das Projekt ist ein Gemeinschaftswerk zweier Ministerpräsidenten aus Brandenburg und Sachsen, das von Anfang an mit weiteren medizinischen Einrichtungen in unseren Ländern kooperieren soll. Auch hier spüren wir die neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und Berlin, denn die renommierte Berliner Charité unterstützt unser Vorhaben. Das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen.
Brandenburg-Geschwindigkeit
Und das alles schaffen wir in Brandenburg-Geschwindigkeit. Für Tesla brauchte es 861 Tage von der Ankündigung bis zur Auslieferung des ersten E-Autos, das Bahnwerk haben wir in 20 Monaten gebaut und die ersten Studentinnen und Studenten wollen wir im Herbst 2026 an der Medizinischen Universität Lausitz begrüßen.
„Die Lausitz. Krasse Gegend.“
Foto: AdobeStock
W+M: Die Lausitz ist jetzt krass geworden, glaubt man dem neuesten Claim. Was ist denn so krass an der Lausitz?
Woidke: Ich als Lausitzer musste mich erst einmal an den Spruch gewöhnen. Aber krass steht schon für das, was gerade in der Lausitz passiert. Eine enorme Entwicklung. Ich kann das beurteilen, denn ich bin hier geboren und aufgewachsen. Die Region wird weiter für Energieversorgung stehen, aber in den nächsten Jahren immer mehr für erneuerbare Energie, einem Brandenburger Markenzeichen und wichtig für weitere Ansiedlungen, denn die Unternehmen wollen aufgrund eigener Klimaziele erneuerbaren Strom beziehen.
Wir haben im Bereich der klimaneutralen Mobilität europa- und bundesweit eine Schrittmacherfunktion. Mit dem Bau des größten und modernsten ICE-Instandhaltungswerk in Cottbus, mit dem Aufbau der Universitätsmedizin und der Ansiedlung vieler neuer wissenschaftlicher Einrichtungen im angewandten Bereich verändert sich das Image der Region rasant.
Mit diesem unglaublichen Potenzial an Wissenschaft und Technologie können wir die gute Entwicklung für die kommenden Jahre sichern.
Das Krasseste ist für mich: Wir wissen bereits heute, dass wir deutlich mehr Arbeitsplätze schaffen werden, als durch den Rückgang bei der Kohle verloren gehen. Das hat auch damit zu tun, dass das Energieunternehmen LEAG angesichts seiner Zukunftspläne bei einem annähernd gleichen Beschäftigungsstand bleiben will. Noch vor fünf Jahren haben das viele für unmöglich gehalten. Die Folge aus der guten Entwicklung: Wir brauchen dringend Nachwuchs bei den Arbeits- und Fachkräften. Dafür arbeiten wir gemeinsam mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Kammern.
W+M: Ist die Transformation damit in der Lausitz gelungen?
Woidke: Mit aller Brandenburger Demut: Wir sind auf einem sehr guten Weg. Ich bin froh und stolz darauf, dass wir vieles zum Laufen gebracht haben. Unsere Projekte setzen wir konsequent um und sind damit wohl auch effektiver als an anderen Standorten, die sukzessive aus der Kohle aussteigen.
Die anfängliche Skepsis in der Lausitzer Bevölkerung hat sich durch die sichtbaren Aktivitäten deutlich verringert. Aber wir müssen noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Wir dürfen nur vergessen, dass ein Arbeitsplatzwechsel in ein anderes Unternehmen mit einer neuen Aufgabe, selbst bei besten Bedingungen und Gehalt, immer eine unglaubliche persönliche Umstellung ist. Deshalb ist mir der Respekt gegenüber den Menschen, die diese Transformation durchleben, so wichtig.
Tesla – eine Erfolgsgeschichte mit Missverständnissen
Tesla in Grünheide – der Lichttunnel. Foto: Tesla
W+M: Tesla ist eine Erfolgsgeschichte für Brandenburg, für Ostdeutschland, Deutschland und Europa. Haben die Brandenburger das schon verstanden?
Woidke: Tesla ist tatsächlich eine Erfolgsgeschichte. Wir sprechen bei uns von einer Zeit vor Tesla und einer Zeit mit Tesla. Tesla hat für uns vieles verändert, wir haben vor allem wieder eine wachsende Wertschöpfung etablieren können und das mit einer annähernd klimaneutralen Produktion für klimaneutrale Produkte. Rund 12.500 Beschäftigte arbeiten derzeit im Teslawerk. Das Unternehmen zahlt 6 Millionen Euro Gewerbesteuer in Grünheide und verbraucht nur ein Drittel der vertraglich vereinbarten zugelassenen Wassermenge.
Leider wird darüber zu wenig in der Öffentlichkeit kommuniziert. Daran ist Tesla selbst nicht ganz unschuldig. Hier erwarte ich mehr offensive und transparente Öffentlichkeitsarbeit von Tesla.
Nehmen wir das Beispiel Wasser. Es gibt wenige Industriebetriebe in Deutschland, die pro Beschäftigten so wenig Wasser wie Tesla verbrauchen. Wenn ich über die Zukunft der Industrie in Brandenburg nachdenke und den Wasserverbrauch mit in den Fokus nehme, ist Tesla nicht ein abschreckendes, sondern ein Vorzeigebeispiel wegen des fast 100-prozentiges Wasserrecycling aus industriellen Prozessen.
Damit muss Tesla auch öffentlich stärker punkten.
Was wir in Grünheide erleben, erleben wir auch an vielen anderen Orten in unserem Land. Alle wollen, dass der Wohlstand wächst, aber im unmittelbaren Umfeld soll sich nichts verändern. Wenn wir aber weiter Wohlstand wollen, müssen wir auch akzeptieren, dass der Aufbau und der Ausbau von Wirtschaft und Infrastruktur wichtig sind. Wir brauchen mehr Gemeinsinn.
W+M: Brandenburg und Berlin führen regelmäßig gemeinsame Kabinettsitzungen durch. Wie entwickelt sich die Zusammenarbeit?
Woidke: Die Frequenz der gemeinsamen Kabinettssitzungen hat in den vergangenen Jahren nicht nur zugenommen, sondern ist auch lösungsorientierter geworden – unabhängig von Parteizugehörigkeiten. Die Kabinettsitzungen sind allerdings nur der nach außen hin wahrnehmbare Teil einer gewachsenen Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Das liegt natürlich auch an den handelnden Personen. Kai Wegner und ich haben uns von der ersten Minute an verstanden. Zwischen uns passt kein Blatt.
Heute ziehen wir in der Region an einem Strang – und das ist die gesamte Hauptstadtregion von Oder über Alexanderplatz bis zur Elbe. Das wurde auch in Berlin verstanden. Für manche Berliner Politiker hat früher die Hauptstadtregion am Autobahnring aufgehört. Solche Diskussionen gehören der Vergangenheit an. Wir wissen darum, dass wir die Herausforderungen nur gemeinsam lösen können. Wir wissen auch, dass es an uns liegt, gemeinsam voranzukommen. Wir müssen weitere Themen konsequent anpacken und dürfen nicht mit dem Erreichten zufrieden sein. Diese Region hat beste Chancen für die Zukunft und ist in vielerlei Hinsicht auch ein Modell für das, was in Deutschland aus wirtschaftlicher Sicht laufen kann und auch laufen muss.
W+M: Die Bertelsmann-Stiftung hat Brandenburg gerade einen weiteren Bevölkerungsrückgang prognostiziert. Sie bezweifeln das?
Woidke: Ich bin mit Statistiken und Prognosen, insbesondere Bevölkerungsprognosen schon deshalb zurückhaltend, weil sie sich im Nachhinein oft genug als falsch herausgestellt haben. Einst wurde uns eine Zahl von unter zwei Millionen prognostiziert, dabei sind wir das einzige ostdeutsche Bundesland, dass mit gut 2,5 Millionen bereits wieder eine nahezu identische Bevölkerungszahl wie 1990 hat. Alle anderen, abgesehen von Berlin, liegen deutlich niedriger.
So umfasst die genannte Prognose den Zeitraum von 2020 bis 2040 und schon die ersten Jahre des Betrachtungszeitraumes haben die Aussage bereits widerlegt. Wir sind nicht geschrumpft, sondern hatten 2023 ein Bevölkerungswachstum von 1,4 Prozent. Angesichts des prognostizierten Wachstums von mehr als fünf Prozent für Berlin stellt sich auch die Frage, wo diese Menschen wohnen und leben werden – am Ende nämlich viele bei uns. Hier passt einiges nicht zusammen. Was meines Erachtens völlig vergessen wurde, ist die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die viele Chancen für viele Menschen in der Region, aber auch von außerhalb schafft. Wir sehen das heute schon in der Lausitz.
Mit Optimismus in die Wahlen
W+M: Im September wird in Brandenburg gewählt. Machen Sie sich Sorgen?
Woidke: Mein Ziel ist, dass die SPD in Brandenburg erneut stärkste Kraft wird. Wir haben bewiesen, dass wir das Land gut voranbringen. Wir haben viele Dinge erreicht, die vor wenigen Jahren noch als unmöglich erschienen. Wir haben eine gute Bilanz, vor allem haben wir aber einen Plan für dieses Land.
Wir können uns alles leisten, nur keine Rechtsextremisten, die hier den Ton angeben. Das würde diesem Land massiven Schaden zufügen. Die Außenwahrnehmung von Brandenburg würde sich komplett verändern. Ich kandidiere erneut, um auch persönlich alles zu tun, damit das Land in guten Händen bleibt. Die Menschen wollen wirtschaftliche und soziale Stabilität, diese gibt es aber nur mit politischer Stabilität. Und dafür stehe ich.
MP Dietmar Woidke im Gespräch mit W+M-Verleger Frank Nehring. Foto: W+M
Interview: Frank Nehring
Der Beitrag Brandenburg: Krass wie die Lausitz. Interview mit Ministerpräsident Dietmar Woidke erschien zuerst auf Wirtschaft und Markt.