Die Zeiten, als die ostdeutsche Wirtschaft für Abriss und Arbeitslosigkeit stand, sind lange vorbei. Ostdeutschland hat sich mittlerweile zu einem international anerkannten Wirtschaftsstandort entwickelt. Dazu beigetragen haben viele Faktoren – vor allem Unternehmerinnen und Unternehmer mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie eine kluge Strukturpolitik von Bund, Ländern und Kommunen. Die Ansiedlung von Forschungsinstituten und der Ausbau der Infrastruktur sind heute besondere Wettbewerbsvorteile, wie auch der Vorsprung bei den Erneuerbaren Energien und den frei verfügbaren Flächen. Technologie-Unternehmen wie die Chiphersteller Intel und TSMC investieren hier ebenso wie die Traditionsfirma Birkenstock, weil sie Ostdeutschland als attraktive Wachstumsregion sehen, von deren Potenzial sie profitieren wollen.
Statt Massenarbeitslosigkeit ist die größte Herausforderung heute der Arbeits- und Fachkräftemangel.
Die langanhaltende Abwanderung in den neunziger Jahren, bei gleichzeitig niedrigen Geburtenraten, hat zu einer ungünstigen Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland geführt. Wegen der wesentlich höheren Löhne sind damals viele Ostdeutsche in den Westen gegangen – und haben übrigens zum dortigen Wirtschaftswachstum erheblich beigetragen!
Das wirkt sich bis heute aus: Nirgendwo sonst wird sich der Mangel an Arbeitskräften in den kommenden Jahren so zuspitzen wie in Ostdeutschland. Wenn wir nicht gegensteuern, werden im Osten bis 2030 voraussichtlich rund 800.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter weniger als heute leben. Eine von mir in Auftrag gegebene Befragung[1] zeigt, dass die ostdeutschen Unternehmen das Problem klar erkannt haben: 40 Prozent sagen, der wachsende Arbeitskräftemangel könnte für sie in Zukunft existenzbedrohend werden.
Das ist kein Problem, das die Unternehmen alleine angeht, denn der drohende Arbeitskräftemangel gefährdet nicht nur unsere unternehmerische Basis, sondern auch die Daseinsvorsorge und die Energiewende. Ohne genügend Arbeitskräfte im Baubereich oder im Handwerk werden wir die notwendige Transformation unserer Energieversorgung nicht bewerkstelligen können.
Um diese Herausforderung zu meistern, müssen wir alle – Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gewerkschaften – an einem Strang ziehen. Mit dem Maßnahmenpaket der Fachkräftestrategie unterstützt die Bundesregierung die Anstrengungen der Unternehmen und Betriebe, Fachkräfte auch in Zeiten tiefgreifender Umbrüche zu gewinnen und zu halten.
Aber im Hinblick auf die besondere Situation in Ostdeutschland sind weitere Maßnahmen notwendig.
Zunächst einmal sind gute Löhne und attraktive Arbeitsbedingungen unerlässlich. Die weitere Lohnangleichung zwischen Ost und West und die Erhöhung der Tarifbindung bleibt eine zentrale Herausforderung für Ostdeutschland.
Zugleich müssen die Anstrengungen erhöht werden, die Potenziale unserer Jugendlichen noch besser zu nutzen und sie zum Schul- und auch Berufsabschluss zu führen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung[2] verfehlten im Jahr 2021 bundesweit etwa 47.500 junge Menschen den untersten Schulabschluss – 6,2 Prozent der entsprechenden Altersgruppe. Das können wir uns als Gesellschaft nicht leisten.
Darüber hinaus benötigen wir mehr Initiativen von Politik, Hochschulen und lokalen Arbeitgebern, damit die Absolventinnen und Absolventen ostdeutscher Hochschulen nach dem Studium in Ostdeutschland bleiben. Und wir müssen Ostdeutschen, die in den Westen oder ins Ausland gegangen sind, Anreize verschaffen, in ihre Heimat zurückzukehren. Die bestehenden Rückkehrinitiativen auf Ebene der Länder und Kommunen sollten gestärkt werden.
Das inländische Beschäftigungspotenzial ist das eine. Klar ist aber auch:
Ohne Zuwanderung werden wir angesichts der demografischen Entwicklung den künftigen Arbeits- und Fachkräftebedarf nicht decken können.
Mit der Reform des Einwanderungsrechts sorgt die Regierungskoalition dafür, dass diejenigen Arbeits- und Fachkräfte ins Land kommen können, die unsere Wirtschaft – gerade auch der Mittelstand und das Handwerk – so dringend braucht!
Jedoch werden ausländische Arbeitskräfte nur dann nach Ostdeutschland ziehen, wenn sie sich hier auch willkommen fühlen. Wir müssen die Willkommenskultur stärken – in Ost- und Westdeutschland! Es ist in unserem ureigenen Interesse, gegen den Rechtsextremismus, gegen Rassismus und für ein weltoffenes Ostdeutschland zu kämpfen. Diese Frage wird entscheiden, ob wir eine Zukunftsregion bleiben!
Packen wir es gemeinsam an.
[1] https://www.ostbeauftragter.de/ostb-de/aktuelles/studie-ueber-arbeitskraeftebedarf-und-migration-in-ostdeutschland-2222726.
[2] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/jugendliche-ohne-hauptschulabschluss-1.
Der Beitrag Carsten Schneider: Ostdeutschland – ein international anerkannter Wirtschaftsstandort erschien zuerst auf Wirtschaft und Markt.