Großinvestitionen wie Tesla oder TSMC beherrschen die Schlagzeilen über die ostdeutsche Wirtschaft. Doch wie sieht es in den Regionen abseits der Ballungsräume aus? Wirtschaft + Markt beleuchtet in einer Serie die wirtschaftliche Entwicklung und Zukunftsperspektiven in den Randlagen Ostdeutschlands. Von Matthias Salm
Der Landkreis Mansfeld-Südharz im Südwesten Sachsen-Anhalts ist Teil des Mitteldeutschen Braunkohlereviers. Mit dem Ende der Kohleförderung stehen hier die Zeichen auf Wandel. Mit Unterstützung von Bund und Land will die Region Bewährtes bewahren und zugleich neue Wege beschreiten.
Sie heißen „REGENT“, „MakerLab“ oder „Innovationshub Holz & Klima“ – Projekte des Landkreises Mansfeld-Südharz, die im Zuge des Strukturwandels der Wirtschaft in der Region zu einem neuen Aufbruch verhelfen sollen. Es ist beileibe nicht die erste Transformation dieser Art – Umbrüche haben den weitläufigen Landstrich rund um Sangerhausen, Hettstedt und der Lutherstadt Eisleben seit 1990 geprägt. Heute ist die Region mit reicher Historie im Landkreis Mansfeld-Südharz vereint. Dieser entstand im Zuge der Gebietsreform im Jahr 2007, als die ehemaligen Landkreise Sangerhausen und Mansfelder Land fusioniert wurden.
Hier im Südwesten Sachsen-Anhalts zwischen Mansfelder Bergland, dem Südharz, Nordthüringen und in Nähe zur Großstadt Halle (Saale) lebten die Menschen über Jahrhunderte vom Bergbau, vor allem von der industriellen Förderung von Kupferschiefer, Braunkohle, Gips und Kali. Die markanten Spitzkegelhalden in der Mansfelder Mulde und im Sangerhäuser Revier wie etwa die 150 Meter hohe Abraumhalde Hohe Linde zeugen bis heute als auffällige Landmarken von dieser Geschichte. Das Ende des Kupferschieferbergbaus aus wirtschaftlichen Gründen nach 1990 traf die Region schwer, bis heute drückt sie die höchste Arbeitslosenquote im Land Sachsen-Anhalt. Nun soll aus damaligen Erfahrungen für das bevorstehende Ende des Braunkohle-Zeitalters gelernt werden.
Der Landkreis Mansfeld-Südharz ist Teil des Mitteldeutschen Braunkohlereviers. Anders als in der Energieregion Lausitz beherrschte im Mansfelder Land die Braunkohle aber nicht das wirtschaftliche Leben. Neben dem Bergbau prägen Maschinen-, Fahrzeug- und Apparatebau, die Kunststoffindustrie, der Metallbau, die Holzwirtschaft, Elektrotechnik und die Ernährungswirtschaft das Bild der mittelständischen Wirtschaft. 9.100 Betriebe beschäftigen hier rund 42.000 Menschen. Dazu führt die Pendlerbilanz von 2023 rund zusätzliche 5.000 Auspendler auf.
Tagebau in Amsdorf wird schließen
An den wichtigsten Unternehmen im Mansfelder Land zeichnen sich die Herausforderungen der Transformation ab. Allen voran an der Montanwachsproduktion der Romonta GmbH in Amsdorf, einem Ortsteil der Gemeinde Seegebiet Mansfelder Land. Die Herstellung von Montanwachs hängt unmittelbar am Großtagebau Amsdorf, einem der zwei aktiven Tagebaue in Sachsen-Anhalt. Die Romonta GmbH ist der weltweit größte Hersteller von Montanwachs, der vielfachen Absatz findet – beim Asphalt im Straßenbau, in der Kunststoffherstellung, selbst in der Kosmetik und natürlich klassisch in der Herstellung von Schuhcreme. Bereits seit 1922 wird die hier besonders bitumenreiche Braunkohle zur industriellen Herstellung von Montanwachs eingesetzt. Zu Blütezeiten arbeiteten rund 2.000 Beschäftigte bei Romonta. Heute sind es immerhin noch um die 400.
Längst hat das Umdenken bei Romonta eingesetzt. Im August ging nach drei Jahren Bauzeit und mit einer Investitionssumme von rund 90 Millionen Euro bei Romonta ein Ersatzbrennstoffkraftwerk in Betrieb. Es soll helfen, die Produktion der Montanwachse mit einer besseren CO2-Bilanz zu gestalten. Die klimaschädigende Verbrennung und Verstromung von Braunkohle soll damit ab dem kommenden Jahr der Vergangenheit angehören.
Die Romonta-Unternehmensgruppe gehört seit dem Jahr 2020 zum Energieunternehmen GETEC-Gruppe. Diese investiert rund 200 Millionen Euro in die Zukunft des Standorts Amsdorf. Neben dem Kernbereich, der Montanwachserzeugung, werden mehr und mehr neue Geschäftsfelder erschlossen, z.B. im Bereich des Recyclings mineralischer Abfälle, der thermischen Verwertung von Siedlungsabfällen sowie des Metallrecyclings bzw. der Metallrückgewinnung aus mineralischen Abfällen.
Lange Tradition der Kupferindustrie
Der Abbau von Kupferschiefer und dessen Verarbeitung sind im Mansfelder Raum bereits seit dem Jahr 1200 belegt. Er endete nach 1990, aber Halbzeuge aus Kupfer gehören immer noch zu den Exportschlagern der Region. Die KME Mansfeld GmbH produziert am Standort Hettstedt Kupferprodukte wie Bänder, Bleche und Stangen aus Kupferlegierungen, die für die Elektronik, für den Automobilbau oder die Raumfahrtechnik auf dem internationalen Markt gefragt sind. Zuletzt hatte das Unternehmen mit schwacher Konjunktur auf den Absatzmärkten und den hohen Energiepreisen zu kämpfen. Die KME Mansfeld blickt unter wechselnden Namen auf eine rund 115-jährige Geschichte in der Region zurück und ist mit etwa 800 Mitarbeitenden weiter einer der wichtigsten Arbeitgeber.
Auch die Gipsindustrie bildet eine bedeutende Säule der Wirtschaft im Südharz. Hier schlummert immerhin das größte zusammenhängende Gipsvorkommen Mitteleuropas in der Erde. Dessen möglicher Abbau im Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz löst aber hitzige Kontroversen aus.
Die Knauf Gips KG, eine weltweit aktive Firmengruppe aus Unterfranken, betreibt ein Gipswerk in Rottleberode, einem Ortsteil der Gemeinde Südharz, und ist die größte Arbeitgeberin vor Ort. Das Unternehmen hat jüngst Probebohrungen beantragt, um das Gipsvorkommen bei Questenberg in der Gemeinde Südharz zu untersuchen.
Natur- und Umweltschützer sind alarmiert. Knauf wiederum argumentiert, dass Gips als Rohstoff knapp zu werden drohe und für den Wohnungsbau dringend benötigt werde. Es beruft sich auf das Ziel der Landesregierung, Naturgips in Sachsen-Anhalt umweltverträglich zu gewinnen. Die Probebohrungen sollen helfen, potenzielle Lagerstätten zu erkunden. Die Naturschützer fordern stattdessen Investitionen in Gipsrecycling und alternative Baustoffe. Auch hier spielt das Ende der Braunkohleförderung die entscheidende Rolle. Denn als Nebenprodukt der Kohleverstromung fällt REA-Gips an, der mit dem Kohleausstieg nicht mehr zur Verfügung stünde. Bisher deckt synthetischer REA-Gips hierzulande noch rund die Hälfte des Gips-Bedarfs.
Holz als Werkstoff der Zukunft
Für die Zukunft setzten die Wirtschaftsförderer im Mansfelder Land verstärkt auf die Holzwirtschaft. Die Ante-Gruppe, eines der führenden Holzindustrieunternehmen in Deutschland, unterhält seit 2007 in Rottleberode ein Hochleistungssägewerk. Rund 370 Mitarbeitende sind hier beschäftigt und verarbeiten zirka 1,2 Millionen Festmeter Rundholz im Jahr zu Schnittholz oder Konstruktionsvollholz. Die anfallenden Nebenprodukte wie Holzspäne werden in Pelletanlagen zu Bio-Brennstoffen verpresst. Mit der Baumrinde wird im Biomasseheizkraftwerk bei Ante Ökostrom erzeugt.
Das im Rahmen des Förderprogramms „Sachsen-Anhalt Revier 2038“ geförderte Strukturwandelprojekt „Innovationshub Holz & Klima“ soll den weiteren Aufbau von Wertschöpfungsketten in der regionalen Holzwirtschaft vorantreiben. Im Schloß Roßla in der Gemeinde Südharz soll das Innovationszentrum für den Rohstoff Holz, dass sich der Forstwirtschaft, Forschungsthemen und der Entwicklung von holzbasierten Produkten und nachhaltigen Stoffen widmen wird, seine Heimat finden. Zwanzig Millionen Euro fließen dafür aus den Fördertöpfen zum Strukturwandel.
Andere Projekte im Zeichen des Wandels bedienen den Gesundheitssektor. Beispielsweise das MakerLab in der Lutherstadt Eisleben, eine Denkwerkstatt mit einem Fokus auf Telepflege und -medizin. Für weitere 13,2 Millionen Euro in Sangerhausen und für 9,3 Millionen Euro in Hettstedt sollen zwei neue Gesundheits- und Notfallzentren aufgebaut werden.
Region in zentraler Lage
131.000 Menschen leben in der Region, das sind 90 Einwohner je Quadratkilometer. Neben der Kreisstadt Sangerhausen sind die Lutherstadt Eisleben, Hettstedt und Mansfeld die größten Städte. Der Standort sieht seine Stärken in seiner räumlichen Nähe zu den Forschungsstandorten Magdeburg, Halle/Leipzig und Erfurt. Er ist eingebunden in das „KAT-Kompetenznetzwerk für Angewandte und Transferorientierte Forschung“, das Cluster „BioEconomy“ oder das „Regionale Digitalisierungszentrum Sachsen-Anhalt Süd“.
„Die Region verfügt über eine funktionierende kommunale Infrastruktur, insbesondere die Verfügbarkeit von Schule, Hort- und Kitaplätzen ist vergleichsweise gut“, beschreibt Landrat André Schröder (CDU) die Vorzüge des Standorts. Der frühere Finanzminister von Sachsen-Anhalt wurde 2021 für die Amtszeit von sieben Jahren gewählt. Schröder wurde 1969 in Sangerhausen geboren und leitet nun den Wandel in seiner Heimatregion. Er war vor drei Jahren in seinem Amt angetreten, um die Stärken der Region hervorzuheben und neue Projekte in der Wirtschaft, Infrastruktur und im Tourismus zu initieren. Die Wirtschaft in der Region bleibt weiterhin eher kleinteilig strukturiert, erweist sich dadurch aber als erstaunlich krisenfest, so die Sicht der Wirtschaftsförderung des Landkreises.
André Schröder ergänzt: „Es existieren ausgezeichnete Verkehrsverbindungen, z. B. mehrere Autobahnanschlüsse und die Digitalisierung der Region schreitet voran. Fast alle Unternehmen und Haushalte haben einen Breitbandanschluss.“ Der Landkreis möchte sich als Bindeglied zwischen den Ballungsräumen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vermarkten. Erfolge seien durchaus sichtbar, sagt Landrat Schröder: „Die Standortentwicklungsgesellschaft hat allein in diesem Jahr 14 Gewerbeflächenanfragen in der Bearbeitung.“ Die zehn fertiggestellten oder geplanten Gewerbegebiete des Landkreises finden sich vor allem entlang der Autobahn A 38 und der Bundesstrasse 180. Für eine großflächige Neuansiedlung (über 30 ha) müssten jedoch neue Flächen zunächst konkret erschlossen werden.
Zu den bereits vorhandenen Unternehmen mit über 250 Mitarbeiter gehören u.a. neben der Knauf Gips KG, der Romonta GmbH, der KME Mansfeld GmbH und der ante-holz GmbH auch die ARYZTA Bakeries Deutschland GmbH. In fünf Werken mit 23 modernen Produktionslinien werden in Eisleben Brötchen und Baguette, Laugengebäck und Brezeln in zahllosen Varianten gefertigt. Eisleben ist einer der größten Produktionsstätten für Tiefkühlbackwaren in Europa. Der mittelständische Dienstleister für Transport und Logistik HALLOG GmbH ist ebenfalls in Eisleben ansässig. Die HMT Höfer Metall Technik GmbH & Co. KG betreibt in Hettstedt die Gießerei der Unternehmensgruppe.
Potenzial im Tourismus
Bisher ungenutzte Potenziale für mehr Wirtschaftskraft birgt der Tourismus. Das Mansfelder Land und der Südharz verbinden Naturerlebnis mit Industriegeschichte und beherbergen die Geburtsorte der Reformatoren Martin Luther und Thomas Müntzer sowie Orte des Deutschen Bauernkriegs. Der Bauernkrieg jährt sich 2025 zum 500. Mal und wird in Eisleben und Mansfeld mit einer Ausstellung gewürdigt. Die Luthergedenkstätten in Eisleben zählen seit 1996 zum Unesco-Welterbe.
Darüber hinaus ist der Landkreis reich an Zeugnissen von 800 Jahren Bergbautradition. Das industrielle Erbe des Harzvorlandes wird u. a. im Schaubergwerk Röhrigschacht Wettelrode erlebbar. Naturliebhaber locken der Südharz oder die Mansfelder Seen. Am Stausee Kelbra ist ein Naturerlebniszentrum geplant. Das Europa-Rosarium Sangerhausen beherbergt die weltweit größte Rosensammlung. Mit der Rekonstruktion der frühmittelalterlichen Königshalle im Freilichtmuseum Königspfalz Tilleda in Kelbra (Kyffhäuser) soll ein weiteres kulturelles Highlight entstehen. Mit Fördermillionen aus den Strukturwandel-Töpfen wird zudem in Mansfeld-Südharz ein 250 Kilometer langes Radwegenetz aufgebaut, das die touristischen Glanzpunkte verknüpft.
Info: Mansfeld-Südharz
Region: Landkreis Mansfeld-Südharz (131.071 E.)
Städte: Sangerhausen (25.300 E.), Lutherstadt Eisleben (22.609 E.), Hettstedt (13.498 E.)
Nachbarregionen: Landkreis Harz, Salzlandkreis, Saalekreis, Kyffhäuserkreis (Thüringen), Landkreis Nordhausen (Thüringen)
Branchen: Bergbau, Maschinenbau, Fahrzeugbau, Apparatebau, Kunststoffindustrie, Metallbau, Holz- und Forstwirtschaft, Elektrotechnik, Ernährungswirtschaft, Handwerk, Tourismus
Verkehr: Autobahnen A 38, A 71, Bundesstraßen B 80, B 85, B 86, B 180, B 242
Bahnstrecken: Halle (Saale) – Hann- Münden, Halle (Saale)-Vienenburg, Berlin-Blankenhain, Sangerhausen-Erfurt
Arbeitslosenquote: 10,3 Prozent
Bisher erschienene Beitrag der W+M-Serie Ostdeutsche Regionen
Die Prignitz: Zwischen den Metropolen – Neue W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #1
https://wirtschaft-markt.de/2024/04/19/die-prignitz-zwischen-den-metropolen-neue-wm-serie-ostdeutsche-regionen-1/
Vorpommern: Mit Birkenstock und Bioökonomie – W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #2
https://wirtschaft-markt.de/2024/05/13/vorpommern-mit-birkenstock-und-biooekonomie-wm-serie-ostdeutsche-regionen-2/
Altmark: Historie trifft Zukunft- W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #3
https://wirtschaft-markt.de/2024/06/09/altmark-historie-trifft-zukunft-wm-serie-ostdeutsche-regionen-3/
Erzgebirge: Zwischen Handwerk und Hightech – W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #4
https://wirtschaft-markt.de/2024/09/18/erzgebirge-zwischen-handwerk-und-hightech-wm-serie-ostdeutsche-regionen-4/
Mansfeld-Südharz: Revier im Wandel – W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #5
https://wirtschaft-markt.de/2024/11/01/mansfeld-suedharz-revier-im-wandel-wm-serie-ostdeutsche-regionen-5/
Wird fortgesetzt.
Der Beitrag Mansfeld-Südharz: Revier im Wandel – W+M-Serie: Ostdeutsche Regionen #5 erschien zuerst auf Wirtschaft und Markt.