Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern beantworte W+M Fragen zur aktuellen Wirtschaftssituation im Land, zur Rolle der maritimen Wirtschaft, zum Verhältnis zu Russland, über den Fachkräftemangel und die Digitalisierung der Verwaltung.

W+M: Wie geht es der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern in den Zeiten steigender Energie- und Materialpreise sowie gestörter Lieferketten? Wie hilft das Land konkret?

Manuela Schwesig: Unsere Wirtschaft hat sich im Krisenjahr 2022 relativ stabil gezeigt. Im ersten halben Jahr 2022 ist das Bruttoinlandsprodukt um 5,2 Prozent gestiegen, das ist der zweithöchste Zuwachs aller Bundesländer. Die Arbeitslosenquote ist nur leicht angestiegen, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass Bund und Länder richtigerweise Flüchtlingen aus der Ukraine den sofortigen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ermöglicht haben. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist hingegen um fast 10 Prozent zurückgegangen. Das sind gute Nachrichten für unser Land. Trotzdem wissen wir, dass sich die Unternehmen Sorgen machen. Das nehmen wir ernst. Wir sind froh, dass die Bundesregierung unserem Vorschlag zu einer Strom- und Gaspreisbremse gefolgt ist. Das schafft Planungssicherheit und Entlastungen. Im Land selber ergänzen wir die Hilfen des Bundes mit dem MV-Energiefonds in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. So helfen wir kleinen und mittleren Unternehmen oder auch sozialen Einrichtungen wie Kitas, Schulen oder Tafeln.

W+M: Die maritime Wirtschaft spielt in MV eine besondere Rolle. Hat diese Branche eine Zukunftschance? Wie steht es um die Nachfolge bei den MV-Werften?

Manuela Schwesig: Die maritime Wirtschaft ist das industrielle Herz Mecklenburg-Vorpommerns. Deshalb wog die Nachricht der Insolvenz im Januar 2022 auch schwer, allen voran für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute können wir sagen: Gemeinsam mit starken Partnern haben wir es geschafft, dass jeder Standort eine neue Perspektive hat. Thyssen Krupp ist neuer Eigentümer der Werft in Wismar. Dort werden zukünftig U-Boote gebaut. In Rostock ist im Januar die Bundeswehr eingestiegen und wird dort in der traditionsreichen „Warnowwerft“ Schiffe der Marine warten, das sichert gut bezahlte Industriearbeitsplätze.  Und in Stralsund hat die Stadt das Gelände der MV-Werften übernommen und will dort einen maritimen Industrie- und Gewerbepark entwickeln.

W+M: Gibt es angesichts der sich verschlechternden Wettbewerbsbedingungen aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass Unternehmen ins Ausland abwandern, ihre Produktion reduzieren oder Arbeitsplätze einsparen?

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Foto StK MV

Manuela Schwesig: Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und wollen neue ins Land holen. Der Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Mecklenburg-Vorpommern hat dabei gemeinsam mit den anderen Bundesländern im Norden einen Standortvorteil. Durch Wind, Sonne, Wasser und Biomasse können wir nicht nur viel grüne Energie produzieren, sondern durch den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft im Land schaffen wir auch die notwendigen Speicherkapazitäten. Mit der Entwicklung grüner Gewerbegebiete wird M-V für Unternehmen weiter attraktiv.

W+M: MV war immer auf ein gutes Verhältnis zu Russland bedacht. Die Russlandtage lange vor Corona und Ukraine-Krieg waren auch schon nicht unumstritten. Wie definieren sie heute ihr Verhältnis zu Russland?

Manuela Schwesig: Der brutale Angriff Wladimir Putins auf die Ukraine hat das Zusammenleben in Europa grundlegend verändert. Er hat die Hoffnung von 1989 zerstört, die Hoffnung auf dauerhaften Frieden auf unserem Kontinent. Die Landesregierung hat sofort nach Beginn des Krieges Konsequenzen gezogen und alle Aktivitäten mit Russland eingestellt. Wer einen anderen Staat überfällt, kann kein Partner für die Zukunft sein.

W+M: Arbeitskräfte fehlen nicht nur in der Gastronomie und Hotellerie, sondern überall. Wie ist die Situation in MV und was tut die Landesregierung?

Manuela Schwesig: Das ist in der Tat eine Herausforderung – deutschlandweit und auch bei uns im Land. Dazu entwickelt unser Wirtschaftsministerium gerade gemeinsam mit der Wirtschaft, der Arbeitsagentur sowie Gewerkschaften die „Fachkräftestrategie MV“. Auf vier Säulen wird es besonders ankommen: eine gute Ausbildung von Fachkräften, Sicherung und Ausschöpfen von Erwerbspotentialen, Gewinnung von Fachkräften aus dem In- und Ausland sowie gute Arbeitsbedingungen.

W+M: Was hat es mit dem geplanten Arbeitskräfte-Gipfel Ostdeutschland auf sich, der auf der MPK Ost beschlossen wurde und durch sie forciert wurde?

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Foto StK MV

Manuela Schwesig: Wie schon angedeutet: Ob sich die Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und den anderen ostdeutschen Bundesländern gut entwickelt, hängt zunehmend davon ab, ob genügend Fachkräfte verfügbar sind. In Ostdeutschland schreitet der demographische Wandel schneller voran als im Westen und Süden. Uns trifft der Mangel an Fachkräften früher. Deshalb müssen wir gemeinsam mit dem Bund reagieren. Attraktivität wird der Schlüssel sein: gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West, Tarifbindung, auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig. Bei uns im Land sind deshalb sowohl Kita als auch der Ferienhort kostenfrei. Klar ist auch, dass wir Fachkräfte aus dem Ausland brauchen. All das werden wir gemeinsam am 27. Februar mit Spitzen der Bundesregierung und den Ost-Ministerpräsidenten in Schwerin beraten.

W+M: Wie steht es um die Digitalisierung in der Verwaltung im Land. Was tut der Digitalisierungsbeirat?

Manuela Schwesig: Allen voran geht es darum, das Onlinezugangsgesetz umzusetzen. Demnach sind Verwaltungen in Bund, Land und Kommunen dazu verpflichtet, ihre Leistungen auch digital anzubieten. Daran arbeiten wir. Erst im vergangenen Jahr ist unter der Schirmherrschaft von Bundesinnenministerin Nancy Faeser der in M-V entwickelte digitale Bauantrag beim eGovernment-Wettbewerb ausgezeichnet worden. Neun Bundesländer haben sich für die Nutzung entschieden. Schon 2018 haben wir in M-V die Digitale Agenda auf den Weg gebracht. In ihr beschreiben wir die Leitlinien der Digitalisierung unseres Landes, also zum Beispiel den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Der Digitalisierungsbeirat bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung begleitet den Prozess. Grundlage für all das ist eine gute Anbindung von Verwaltung, Wirtschaft und den Menschen mit schnellen Internet: Der Breitbandausbau ist in den letzten Jahren gerade auch in den ländlichen Räumen Mecklenburg-Vorpommerns deutlich vorangekommen. Ende 2021 verfügten mehr als die Hälfte aller Haushalte im Land über hochleistungsfähige  Breitbandanschlüsse. 2018 waren es noch weniger als 15 Prozent. Das ist auch für die wirtschaftliche Entwicklung wichtig.

W+M: Hat die Beschleunigung bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren in MV schon Formen angenommen? Wenn ja, gibt es Beispiele?

Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns. Foto StK MV

Manuela Schwesig: Die Bundesregierung unter Führung der SPD hat endlich die Voraussetzungen für schnellere Genehmigungsverfahren im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen. Dafür hatten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Norden seit Jahren geworben. Im Land haben wir das Gesetz zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie beschlossen. Damit werden wir die Verfahren bündeln und somit beschleunigen. Außerdem führen wir beim Denkmalschutz die Vier-Wochen-Regel ein: Wenn eine Denkmalfachbehörde nicht innerhalb von vier Wochen kritisch Stellung nimmt, können die zuständigen Ämter handeln und bewilligen. Gleichzeitig stärken wir das Landesamt für Kultur und Denkmalschutz mit zusätzlichen Stellen, damit die Begutachtungen geleistet werden können. So gehen wir sorgsam mit unserem naturellen Erbe um und bringen gleichzeitig den Klimaschutz voran.

W+M: Was halten Sie von der Auffassung, dass die hohe Geschwindigkeit beim Bau erster LNG-Terminals zur „Deutschland-Geschwindigkeit“ für Infrastrukturprojekte wird und damit den Maßstab für künftige Projekte gibt?

Manuela Schwesig: In Lubmin ist innerhalb weniger Monate ein LNG-Terminal entstanden, das seit Januar einen Beitrag für eine sichere Energieversorgung und bezahlbare Energie in Deutschland leistet. Dabei hat M-V geliefert: Das Projekt wurde zügig und mit notwendiger Gründlichkeit geprüft und genehmigt. M-V ist in der Zeitenwende Teil der Lösung – kurzfristig mit dem Anlanden von Flüssiggas und Öl über Lubmin und Rostock, zukünftig mit den erneuerbaren Energien. Wir wollen unseren Beitrag leisten, damit die neue Deutschland-Geschwindigkeit zur Normalität wird.

W+M: Mit welchen Erwartungen sind Sie in das neue Jahr gegangen?

Manuela Schwesig: Zuerst einmal geht es mir wie vielen Menschen: Ich wünsche mir, dass der brutale Krieg Russlands in der Ukraine ein Ende findet und die Menschen dort in Frieden leben und ihr Land wiederaufbauen können. Leider sieht es im Moment noch nicht danach aus. Deshalb glaube ich, dass die Themen des vergangenen Jahres uns auch in der kommenden Zeit beschäftigen werden: der Krieg in der Ukraine und seine Folgen für die Wirtschaft, die Energieversorgung und das Alltagsleben.

Fragen: Frank Nehring

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