Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt, im Gespräch mit W+M über erfolgreiche Ansiedlungen, die Gefahren für den Standort Deutschland und die geplante Gigafabrik von Intel in Magdeburg.
W+M: Herr Schulze, Sie sind nun seit gut eineinhalb Jahren Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt und waren zuvor Abgeordneter im Europäischen Parlament. Wie haben Sie sich eingefunden in Ihre neue Aufgabe nach dem Wechsel aus dem Parlament in ein Ministeramt?
Sven Schulze: Vor meiner Zeit als Abgeordneter im Europaparlament war ich ja bereits rund zehn Jahre in der Wirtschaft, u. a. als Vertriebsleiter in einem Maschinenbauunternehmen, tätig. Mein eigentlicher Wechsel ist der von einer verantwortlichen Position in der Wirtschaft zu einer in einem Regierungsamt. In beiden Tätigkeiten muss ich die finalen Entscheidungen treffen und diesbezüglich bin ich sehr zufrieden, was mein Team und ich in den letzten Monaten bewirkt haben. Sachsen-Anhalt hat sich gut entwickelt und die Projekte, die wir mit der Landesregierung angeschoben haben, sind aufgegangen. Aber es ist harte Arbeit, man muss sich jeden Tag auf neue Herausforderungen in der Wirtschaft einstellen.
W+M: Wie beurteilen Sie denn die Lage der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt angesichts der zahlreichen weltweiten Krisen im letzten Jahr und zu Beginn dieses Jahres?
Sven Schulze. Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M/Andrys
Sven Schulze: Jeder, der in der Wirtschaft oder der Politik Verantwortung trägt und sich realistisch mit den Krisen auseinandergesetzt hat, musste sich natürlich im letzten Jahr große Sorgen machen. Auch jetzt ist die Situation angesichts des Krieges in der Ukraine, der hohen Energiepreise und der unsicheren Energieverfügbarkeit weiterhin nicht einfach. Aber viele der Befürchtungen haben sich im letzten Winter zum Glück dann doch nicht bewahrheitet. Fakt ist, dass sich das Bundesland Sachsen-Anhalt beim Wirtschaftswachstum besser als andere Bundesländer entwickelt hat. Damit bin ich sehr zufrieden. Allerdings wünsche ich mir manchmal eine bessere Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, weil ich glaube, dass die Politik in solchen Krisenzeiten auch über Parteigrenzen hinaus zusammenarbeiten muss.
W+M: Welche Teile der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt haben sich denn besonders krisenfest gezeigt?
Sven Schulze: Da möchte ich zwei Beispiele nennen: Die Total-Energies-Raffinerie in Leuna war sehr stark abhängig von russischem Erdöl. Dort hat man sehr früh und aus eigener Initiative beschlossen, sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien und das Rohöl künftig aus anderen Ländern zu beziehen. Wir müssen jetzt natürlich sehen, dass dieser Weg stabil weitergeführt wird. Ein zweites Beispiel: Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH, der größte Gasverbraucher Ostdeutschlands, produziert gegenwärtig weniger als 50 Prozent der bisherigen Mengen an Düngemitteln und Ammoniak, weil sie eine Anlage abgeschaltet und die zweite heruntergefahren haben. Trotzdem hat das Unternehmen diese Situation bisher ohne staatliche Hilfen bewältigen können.
W+M: Trotz der schwierigen Lage konnte Sachsen-Anhalt weitere Investoren ins Land locken. Auf welche Ansiedlungen sind Sie besonders stolz?
Sven Schulze: Der Lastwagenhersteller Daimler Trucks baut ein globales Teilezentrum in Halberstadt für einen dreistelligen Millionenbetrag. Das ist ein großer Erfolg, denn bisher ist kein OEM in Sachsen-Anhalt ansässig, wohl aber 25.000 Beschäftigte, die in der Autozulieferindustrie arbeiten. Der US-Elektronik-Konzern Avnet investiert mehr als 200 Millionen Euro in Bernburg. Topas Advanced Polymers, ein Hersteller von Kunststoffgranulat, lässt sich in Leuna nieder. Das sind Ansiedlungen, die viele Arbeitsplätze schaffen und neue Technologien im Land etablieren. Wir wissen, dass der Transformationsprozess der Wirtschaft Arbeitsplätze kosten wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Verluste mit neuen Investitionen in den Standort Sachsen-Anhalt ausgleichen können. Und diese Erfolgsbeispiele ziehen weitere Investoren an. Ich vermittle interessierten Investoren gerne Kontakte zu den Unternehmen, die sich hier bereits niedergelassen haben, damit sie sich im direkten Gespräch deren Erfahrungen schildern lassen und sich so selbst ein Bild machen können. Das ist für uns die beste Werbung.
W+M: Werten Sie diese Ansiedlungen auch als persönlichen Erfolg?
Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M/Andrys
Sven Schulze: Ich habe mein Ministeramt nicht angetreten, um einen Status quo zu verwalten. Ich bin angetreten, um Sachsen-Anhalt nach vorn zu bringen. Ich sage deshalb ganz bewusst: Wir sind auf der Überholspur und auf einem guten Weg, Sachsen-Anhalt in vielen Bereichen in eine Spitzenposition in Deutschland zu bringen. Wir liegen beim Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt besser als der Bundesdurchschnitt und um 0,3 Prozentpunkte besser als der Durchschnitt der ostdeutschen Bundesländer. Es war der höchste preisbereinigte Anstieg des BIP seit zehn Jahren. Das alles zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
W+M: Inwieweit profitiert davon auch der kleine Mittelstand, etwa das Handwerk?
Sven Schulze: Auch hier haben wir gute Ideen, ein Beispiel: Wir haben den Praktikumsschein eingeführt. Wir unterstützen junge Leute ab 15 Jahren in ihren Ferien finanziell, wenn sie ein Praktikum in einem Meisterbetrieb im Handwerk machen. Das sind 120 Euro pro Woche für maximal fünf Wochen Praktikum. Auf diese Weise können sich junge Menschen über Berufe im Handwerk informieren. 20 bis 30 Prozent derer, die das Angebot in Anspruch nahmen, haben später einen Ausbildungsvertrag unterschrieben. Ich habe bereits Anfragen aus anderen Bundesländern, die dieses Projekt auch bei sich übernehmen wollen.
W+M: Damit begegnen Sie auch dem drängenden Problem des Fachkräftemangels?
Sven Schulze: Wir haben in Sachsen-Anhalt eine schwierige demografische Situation, die uns noch ein Stück weit härter trifft als andere ostdeutsche Bundesländer und natürlich auch als Westdeutschland. Deshalb liegt mir das Thema Fachkräfte besonders am Herzen. Für mich steht die Frage im Vordergrund, wie wir Menschen aus Europa oder außerhalb der EU für Sachsen-Anhalt begeistern und als Arbeitskräfte gewinnen können.
W+M: Bei allen Erfolgen: Manche Experten befürchten, dass die Industrie Deutschland wegen der hohen Standortkosten verlassen könnte. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?
Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M/Andrys
Sven Schulze: Meine Gespräche mit Investoren drehen sich immer wieder um die Themen Energieverfügbarkeit und Industriestrompreise. Mir wird bei solchen Gesprächen oft vorgerechnet, welche finanziellen Vorteile die Unternehmen etwa bei einer Investition in den USA haben. Wenn es uns nicht gelingt, die Versorgungssicherheit zu garantieren und akzeptable Strompreise für die Industrie anzubieten, werden wir den Standortwettbewerb verlieren. Deshalb sage ich: Europa muss schneller und flexibler werden beim Beihilferecht, damit wir den Unternehmen Steuererleichterungen oder eine ähnliche Unterstützung bieten können. Sonst werden die Schlüsseltechnologien aus Europa abwandern. Die Standortkosten sind ein weitaus wichtigerer Faktor als etwa die Personalverfügbarkeit, denn die ist in den USA ähnlich schwierig. Trotzdem gelingt es uns ja immer wieder, Unternehmen für die Region zu gewinnen.
W+M: Was überzeugt die Unternehmen trotz der hohen Kosten?
Sven Schulze: Sachsen-Anhalt liegt in der Mitte Europas, die EU ist der größte Binnenmarkt der Welt. Wir können Gewerbeflächen anbieten, die anderen nicht zur Verfügung stehen. Und wir treffen schnelle Entscheidungen. In Wolmirstedt ist beispielsweise kürzlich der Spatenstich für einen Konverter für die Südostlink-Stromtrasse erfolgt. Die Genehmigung hierfür lag innerhalb von sechs bis acht Monaten vor. Diese Geschwindigkeit bei den Genehmigungen wurde auch von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausdrücklich gelobt. Ein weiterer Pluspunkt: Unsere Bevölkerung steht Industrieansiedlungen positiv gegenüber. Hier gibt es keine Vorbehalte oder gar Demonstrationen wie in anderen Regionen, wenn sich etwa ein Unternehmen der chemischen Industrie ansiedeln möchte. Und nicht zuletzt wecken Ankerinvestitionen wie die von Intel in Magdeburg das Interesse an Sachsen-Anhalt.
W+M: Gerade bei der geplanten Gigafabrik von Intel in Magdeburg gab es zuletzt aber erhebliche Irritationen um den Baubeginn und die Forderung von Intel nach höheren Subventionen vom Bund. Wie ist der aktuelle Stand?
Sven Schulze: Intel hat wie viele andere Unternehmen mit gestiegenen Bau-, Personal- und Energiekosten zu kämpfen. Die Herausforderungen sind heute andere als noch vor einem Jahr. Intel kann bei den Kosten auch nicht einfach Abstriche machen, schließlich ist es der Anspruch des Unternehmens, in Magdeburg eine Chipfabrik auf allerneuestem Stand zu bauen. Es liegt nun an der Bundesregierung, einen vernünftigen Weg zur Lösung zu finden. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir mit der Intel-Fabrik in Magdeburg auch das ausdrückliche politische Ziel der EU erfüllen, die Chipindustrie in Europa zu stärken. Und trotz aller Subventionen liegt das größte wirtschaftliche Risiko immer noch beim Unternehmen selbst.
W+M: Besonders heftig wurden die Subventionen für Intel vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) kritisiert. Warum hat Sie diese Kritik so verärgert?
Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt. Foto: W+M/Andrys
Sven Schulze: Ich habe grundsätzlich hohen Respekt vor der Wissenschaft. Aber hier wurden Aussagen getroffen, die jeglicher wissenschaftlicher Basis entbehrten. Etwa, dass niemand Schlange stehe, um in Sachsen-Anhalt arbeiten zu wollen und dass die Ausländerfeindlichkeit in der Region Arbeitskräfte von außerhalb abhalten würde. Für diese pauschalen Behauptungen gibt es keine wissenschaftliche Grundlage und sie schaden dem Standort Sachsen-Anhalt. Auch die Kritik an den hohen Subventionen wurde ohne Detailkenntnisse getroffen. Intel selbst hat ebenfalls klargestellt, dass es die Kritik nicht nachvollziehen könne. Ich habe deshalb das persönliche Gespräch mit der Leitung des IWH gesucht. Die Gespräche waren sachlich, ohne den Dissens in einzelnen Punkten ausräumen zu können. Wir haben aber vereinbart, in engerem Austausch zu bleiben.
W+M: Wie wichtig ist es denn, dass Ostdeutschland sich bei solchen Großinvestitionen als gemeinsame Region versteht und die Bundesländer eng zusammenarbeiten?
Sven Schulze: Wir müssen in Ostdeutschland unsere Kräfte bündeln, um besser wahrgenommen zu werden und unsere Position im Wettbewerb zu stärken. Deshalb pflege ich einen regelmäßigen, auch parteiübergreifenden Austausch mit meinen ostdeutschen Amtskollegen. Wir haben in Brüssel gemeinsam mit Brandenburg die Belange der Chemieindustrie vertreten und kooperieren mit Sachsen in Fragen der Zukunft der Automobilzulieferindustrie. Das möchte ich aber bewusst nicht im Sinne eines Ost-West-Gegensatzes verstanden wissen. Wir arbeiten beispielsweise auch sehr eng mit unserem Nachbarland Niedersachsen zusammen.
W+M: Eine ganz besondere Ansiedlung wird das geplante Zukunftszentrum in Halle (Saale) werden. Welche Erwartungen verknüpfen Sie damit?
Sven Schulze: Die Entscheidung für Halle ist eine tolle Sache, zumal wir nicht als der eigentliche Favorit ins Rennen gegangen sind. Jetzt muss man sehen, was daraus gemacht wird. Die Chance, die Ostdeutschland durch die Deutsche Einheit zu einer Transformation bekommen hat, hatte kein anderes osteuropäisches Land. Jetzt ist die Frage, was lernen wir daraus für unsere Gesellschaft, aber auch für die Zukunft anderer Nationen. Darin sehe ich eine Aufgabe des Zukunftszentrums.
W+M: Herr Minister, abschließend die Frage, was wünschen Sie sich selbst für die Zukunft?
Sven Schulze: Dass wir lernen, uns besser auf die Diskontinuitäten einzustellen. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine haben gezeigt, wie schwer es ist, langfristige Planungen zu treffen. Und wir müssen uns anders aufstellen, um im Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Europa wollte wirtschaftliche Zukunft mit Nachhaltigkeit verbinden. Mittlerweile sind die USA und vermutlich auch bald China dabei, uns bei dieser Vision den Rang abzulaufen. Deshalb müssen wir lernen, schneller und flexibler zu werden.
Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt und W+M-Verleger Frank Nehring. Foto: W+M/Andrys
Interview: Frank Nehring
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